Vor kurzem stattete mit ein Kumpel aus Irland einen Besuch ab. Wir hatten ein paar Monate kein Kontakt, also gab es viel zu erzählen und nach etwa einer halben Stunde des klassischen Geplaudere, kamen wir auf's Thema Dating zu sprechen.
Er erzählte, wie schwer es heutzutage ist, echte menschliche Verbindungen herzustellen.
Für viele scheinen langfristige Beziehungen wie ein veraltetes Konzept, wirtschaftliche und geopolitische Unsicherheiten erschweren ebenfalls die Vorstellung, eine Familie zu gründen. (Auch wenn es in Anbetracht unseres demographischen Wandels fast gar notwendig ist)
Er teilte Geschichten von vergangenen Beziehungen, die ihm zwar Trost spendeten, aber dennoch nicht die wahre Erfüllung boten, die er sich in einer Beziehung vorstellt.
Doch er ist nicht allein mit diesem Gefühl. Egal ob in Irland, Großbritannien, den USA oder hier in Deutschland, viele meiner Freunde teilen einen grundlegenden Zorn gegenüber Online-Dating-Apps und der zunehmenden Hookup-Kultur.
Eine echte Partnerin zu finden, ist heutzutage so unglaublich schwierig geworden, dass die meisten von uns zum Entschluss gekommen sind, dass es wahrscheinlich das Beste ist, Single zu bleiben.
Menschen werden nicht mehr als vollwertige menschliche Wesen behandelt, sondern als Objekte zur Erfüllung unserer eigenen Wünsche.
Wir haben völlig unrealistische Erwartungen in unseren Köpfen, und wann immer eine kleine Unannehmlichkeit auftaucht, wirft man die andere Person einfach zur Tür hinaus, weil man denkt, es gäbe noch so viele andere Möglichkeiten.
Vielleicht bin ich nicht mehr ganz auf dem Laufenden, aber das, was ich mitbekomme erscheint mir so grausam und gefühllos, dass ich mich ab und frage:
"Ist es das, was man heutzutage unter Dating versteht?"
Wo wir Menschen einfach nach links oder rechts swipen und potenzielle Partner auf unserer Suche nach einer dauerhaften Romanze, einem One-Night-Stand oder irgendetwas dazwischen verwerfen und genehmigen?
Wie sind wir hierher gekommen?
Lass mich zunächst eine Sache aus dem Weg räumen. Dating ist scheiße und es war auch schon immer scheiße.
Evolutionär gesehen sind wir darauf programmiert, uns zu paaren und fortzupflanzen. Ganz natürlich, sonst wäre die Menschheit schon längst ausgestorben.
Aber warum wird das Thema-Dating oft zur obersten Priorität in unserem Leben?
Und wieso glauben wir, dass der Weg eine passende Partnerin oder Partner zu finden, einzig und allein ein “Numbers-Game” ist. Eine bloße Angelegenheit von rechts und links wischen und irgendwann wird "der / die Richtige" schon auftauchen. Haben wir uns dabei jemals selbst die Frage gestellt, was wir tun müssen, um zu der richtigen Person zu werden?
Bei jedem Date, sei es über eine App oder ein natürlichere Verabredung, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du enttäuscht wirst oder jemanden anderen enttäuschst.
Dein Herz kann gebrochen werden, wenn die Liebe nicht erwidert wird, oder du musst jemandem das Herz brechen, wenn du einfach keine Verbindung spürst. Du könntest etwas Falsches sagen oder dein Date erscheint vielleicht überhaupt nicht.
Diese Sorgen sind heute nicht viel anders als seit der Entstehung romantischer Beziehungen im 19. Jahrhundert.
Es mag weniger darum gehen, dass Männer ihre Dates in einem Anzug abholen und teure Abendessen ausgeben müssen, und heutzutage sind auch gleichgeschlechtliche Dates häufiger. Aber die grundlegenden Sorgen sind ähnlich geblieben.
Allerdings hat sich die Welt des Online-Datings inzwischen stark verändert, und leider nicht unbedingt zum Besseren. Du musst vielleicht älter sein, um dich daran zu erinnern, aber Online-Dating wurde in den 90er Jahren populär und war damals ziemlich stigmatisiert.
Mit den ersten amerikanischen Seiten, wie match.com oder kiss.com galt Online-Dating als letzter Ausweg für diejenigen, die mit dem traditionellen Dating nicht klarkamen.
Es wurde kulturell als Zeichen der Schwäche angesehen.
Aber wie alles andere, das mit dem Internet zu tun hat, hat sich auch das Online-Dating entwickelt und hat seine eigenen Gefahren mit sich gebracht. Sich mit einem Fremden zu treffen, besonders alleine, birgt gewisse Risiken.
Dating-Apps ziehen oft eine Vielzahl von Menschen an, einige von ihnen möglicherweise nicht ganz koscher, die dich entweder als Opfer oder als ihren Lebensretter sehen.
Das bedeutet nicht, dass du nach ein paar Online-Dates im Fluss landest, aber es könnte bedeuten, dass du ein oder zwei wirklich schlechte Erfahrungen machst.
Mal ehrlich, du könntest mit einer noch so psychologisch traumatisierten Dame oder Herren in die Kiste springen, ohne es überhaupt mitzubekommen.
2012 änderte sich alles mit Tinder.
Die Idee war einfach. Sobald du die App geöffnet hast, wurden dir eine Vielzahl von möglichen Partnern präsentiert. Ein großes Bild und eine kurze Beschreibung. Alles, was du tun musstest, war nach rechts zu wischen, wenn du interessiert warst, und nach links, wenn nicht. Wenn beide Parteien nach rechts wischten, hattest du ein Match und konntest ein Gespräch beginnen.
Doch selbst wenn wir verstehen, wie diese Dating-Apps funktionieren, ist es immer noch beunruhigend, wie sehr wir Menschen zu einer Art Handelsware gemacht haben.
Dieses Wischverhalten ist nicht allzu verschieden vom Durchblättern von Produkten in einer Werbeanzeige auf Facebook oder Instagram.
Es ist, als würden wir Menschen in unserem Liebessuche-Magazin durchblättern, währenddessen wir auf der Toilette sitzen.
Rechts, links, links, links, rechts, links…
Ist das wirklich die Art und Weise, wie wir uns selbst und andere sehen möchten?
Bedenke, dass du nach jemandem suchst, mit dem du in einer intimen Beziehung basierend auf Verwundbarkeit, Authentizität und Ehrlichkeit sein kannst.
Und doch präsentieren wir uns, als wären wir im Supermarkt beim Einkaufen.
Ist es realistisch zu erwarten, dass eine Beziehung, die auf so transaktionalen Grundlagen beginnt, dauerhaft und erfüllend sein wird?
Aufgrund von Apps jemanden zu daten ist heute nichts anderes als ein Versuch, etwas auf einer Amazon zu kaufen oder zu verkaufen.
Wenn das Interesse an einer Person erlischt, wird diese in der Regel einfach ignoriert. Keine Nachricht, kein höflicher Anruf. Man macht einfach weiter.
Schlimm genug, wenn es nur um den Kauf von Produkten geht, aber noch schlimmer, wenn das Produkt Zeit, Aufmerksamkeit und Emotionen erfordert.
Wenn jemand in einer App so behandelt wird wie ein Produkt, kann diese Einstellung auf die Benutzer überschwappen. Menschen swipen nicht direkt auf Menschen, sondern auf Produkte. Und wenn das Produkt nicht mehr wünschenswert erscheint, wird es entsorgt.
Aber es gibt noch eine weitere Kehrseite der Medaille. Viele Dating-Apps verwenden eine Bewertungsfunktion oder ein Elo-System. Je mehr du dich mit Personen matchst, über die du nach rechts wischt, desto attraktiver wirst du auf der Plattform angesehen. Die Apps verbreiten dann dein Profil an mehr Menschen.
Dieser Prozess hat wenig mit dem tatsächlichen Finden von Beziehungen zu tun. Er soll dich auf der Plattform halten, indem sie dir attraktive Matches präsentiert.
Je mehr attraktive Menschen du siehst, desto mehr hoffst du, dass "der Eine" oder “die Richtige” da draußen ist, und löschst die App nicht.
Das ist ähnlich wie die Methode, mit der Lotterien mit riesigen Jackpots locken.
Obwohl die Gewinnchancen nahezu unmöglich sind, verspricht der stetig wachsende Jackpot Hoffnung, auch wenn Verzweiflung eine angemessenere Reaktion wäre.
Wenn jemand einen höheren Wert hat, bedeutet das nicht, dass er besser in Beziehungen ist.
Es zeigt nur, dass viele Menschen ihn aufgrund oberflächlicher Kriterien als attraktiv empfunden haben.
Wenn du mehr von diesen Menschen in deine Matches aufnimmst, erhöhen sich deine Chancen, Liebe zu finden, nicht wirklich.
Es erhöht lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass du die App nicht löschst.
Diejenigen (hauptsächlich Männer) mit niedrigeren Werten werden seltener angezeigt, was ihnen zwei Möglichkeiten lässt: entweder aufgeben oder für eine Profilverbesserung bezahlen.
Dieses gemeinsame Merkmal aller Apps nutzt Leute aus, die sich nicht gut präsentieren, um Profit zu machen.
Die Möglichkeit zur Verbesserung des Profils verschafft dir wieder faire Wettbewerbsbedingungen, die dir ursprünglich nicht verwehrt sein sollten.
Denke daran, dass diese Plattformen hauptsächlich geschäftliche Interessen verfolgen. Doch diese Profitorientierung hat Konsequenzen.
Und im Fall von Dating-Apps können diese Konsequenzen die schlechte Verfassung der Dating-Welt oder deine Chancen auf eine langanhaltende Liebe sein.
Das Schlimmste an Dating-Apps ist vielleicht, dass wir die Liebe letzten Endes zu einer Art Ware gemacht haben, und das kann die Art und Weise, wie wir sie sehen und erleben, drastisch verändern.
Wenn wir uns zu jemandem hingezogen fühlen, schüttet unser Gehirn als Belohnung Dopamin aus. Dating-Apps haben uns trainiert, ständig nach diesem Dopamin-Hit durch Anziehung oder Lust zu suchen.
Und wenn du dann mit jemandem zusammen bist und das anfängliche Interesse nachlässt, weißt du, dass du leicht über eine App in deiner Tasche einen neuen Dopamin-Kick bekommen kannst.
Ein Blick auf eine attraktive Person in deiner App reicht, um das Dopamin fließen zu lassen. Damit wird die Treue zu deinem Partner weniger attraktiv.
So gerätst du in einen Belohnungszyklus, der süchtig macht. Ein Match auf Tinder erzeugt denselben Dopamin-Kick wie ein „Gefällt mir“ auf Social Media. Du kommst immer wieder zurück, auch wenn du jemanden gefunden hast, mit der / dem du eine langfristige Beziehung eingehen könntest.
Das Schlimmste an Dating-Apps ist vielleicht, dass wir die Liebe letzten Endes zu einer Art Ware gemacht haben, und das kann die Art und Weise, wie wir sie sehen und erleben, drastisch verändern.
Die meisten von uns waren schon in einer Beziehung und fragten sich trotzdem, ob da draußen vielleicht noch jemand Besseres ist.
Dating-Apps nutzen dieses Gefühl aus. Sie überfluten dich mit Auswahlmöglichkeiten und erwecken den Eindruck, dass du nie die richtige Person triffst. So geht es immer weiter, zurück zum Handy, zurück zu den leicht zugänglichen Dopamin-Schüben.
Bereits der Anblick eines attraktiven Menschen in deiner App kann einen Dopamin-Ausstoß auslösen, der die Treue zu einem anderen Menschen weniger reizvoll erscheinen lässt.
Der Stand des modernen Dating-Marketes ist somit eine Konsequenz dieses Systems, das wir erschaffen haben.
Dating-Apps entwöhnen uns von den warmen Gefühlen, die in langfristigen Beziehungen oder in Beziehungen zu engen Freunden und Familie häufiger vorkommen. Diese Apps fördern das Suchen nach einem ständigen Dopamin-Kick, der süchtig macht.
Online-Dating-Apps fördern die Ansicht, dass es immer einen besseren Fisch im Meer gibt.
Die Art und Weise, wie diese Apps funktionieren, führt dazu, dass wir Menschen schnell beurteilen und keine Bindung zu ihnen aufbauen. Wenn ein Date auch nur ein wenig langweilig erscheint, könnte es sein, dass du auf die Toilette gehst, um den nächsten Dopamin-Hit zu finden.
Während du vielleicht in deiner früheren Beziehung Frieden und Wohlgefühl erlebt hast, entwöhnen dich Dating-Apps von diesem Gefühl.
Aber das sind nicht die einzigen Probleme, die Dating-Apps mit sich bringen. Die Interaktionen in diesen Apps mangeln oft an Empathie und Rücksichtnahme.
Menschen verhalten sich online oft unhöflicher als im wirklichen Leben.
Dating-Apps haben dieses Verhalten gefördert, während sie gleichzeitig dazu geführt haben, dass Menschen schwieriger Beziehungen finden.
Es mag kontraintuitiv erscheinen, aber das ist der Stand der heutigen Dating-Welt.
Es ist an der Zeit, die Art und Weise, wie diese Apps mit Hilfe von Algorithmen funktionieren, zu überdenken.